Die Schönheit des Taiji Quan – Nachlese zum Seminar mit Meister Chen Peishan
"It's still martial arts" betonte Meister Chen Peishan immer wieder bei seinem Besuch in Deutschland vom 27. April bis 02. Mai 2019. Wir können Taiji für unsere Gesundheit, aus Spaß an der Bewegung oder zum Kennenlernen der chinesischen Philosophie & Kultur studieren, aber wir verlieren etwas, wenn wir Taiji ohne den Kampfkunst-Aspekt üben. Das gab er uns zum Abschluss von fünf intensiven Trainingstagen mit auf den Weg, in denen er uns einen tieferen Einblick in seine Familientradition des Chen Taiji Quan Xiaojia gegeben hatte. Fünf Tage, in denen wir aus erster Hand viel über den gesundheitlichen Mehrwert, den philosophischen Hintergrund und die Anwendung dieser wunderschönen Bewegungs- und Kampfkunst erfahren durften.
Das Seminar startete am Samstag und Sonntag in Friedrichshafen und wurde Dienstag bis Donnerstag in Saarbrücken weitergeführt, um möglichst vielen der Schüler unseres Chen Taiji Stils die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben. Die Schüler kamen aus vielen Teilen Deutschlands, aus Luxemburg und Tschechien. Und ganz traditionell fand der Unterricht über alle Leistungsstufen in einer Gruppe statt. Auf dem Programm standen die kurze Form "Sizheng", die traditionelle lange Form "Yilu" und die schiebenden Hände "Tuishou".
Meister Chen Peishan trainierte mit uns viele Grundlagen und einige für uns neue Varianten der Form "Yilu". Im Vordergrund standen aber die inneren Bewegungen, die Taiji erst zu einer Bewegungskunst machen. Viele weniger erfahrene Schüler konnten natürlich nicht alles gleich umsetzen. Wir werden uns aber an vieles wieder erinnern, meinte er, wenn wir mit unserem Training in der Pagode so weit sind. Ein guter Grund genau zuzuhören und es immer wieder zu versuchen.
Schon die ersten Sekunden der Form zeigen, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. "Stop, half of you are too stiff", unterbricht uns Meister Chen Peishan. Ich fühle mich ertappt und weiß genau, dass ich zur Hälfte derer gehöre die zu steif in den Schultern sind. Im Taiji bewegen wir immer den ganzen Körper, auch wenn äußerlich die Armbewegung dominiert, sagt Meister Chen Peishan. Jede Bewegung des Arms beginnt in der Körpermitte, im Dantian, steigt auf und wird über die Schulter in einer Spiralbewegung bis in die Hand übertragen. Viele von uns bewegen den Arm nicht aus der Schulter, sondern geführt von der Hand. Die Ellbogen sind zu eng am Körper, die Schultern zu den Ohren gezogen. Es ist halt so wie viele von uns auch am Schreibtisch sitzen, denke ich bei mir. Vielleicht fällt uns dieser ganz natürliche Bewegungsablauf auch gerade deswegen so schwer.
Meister Chen Peishan zerlegt mit uns die Bewegungsabläufe in ganz kleine Stücke und wir merken, wie wir immer beweglicher werden. Bis wir mit dem nächsten Bild weitermachen und wieder von vorne anfangen. Mit einer Engelsgeduld erklärt uns Meister Chen Peishan, dass es sowohl für unsere Gesundheit, als auch für die Anwendung in der Kampfkunst wichtig ist die Schultern zu öffnen. Und er korrigiert uns immer wieder. Er erzählt uns, wie sich die Chinesen früher die Entstehung der Erde vorgestellt haben. Es war der Dreck, der schwer nach unten sank und die Erde geformt hat. Das Licht war leicht, stieg auf und wurde zum Himmel. Yin und Yang. Der Mensch steht dazwischen: Mit den Beinen verwurzelt auf dem Boden, stabil und nach unten sinkend. Mit dem Kopf aufgerichtet, nach oben steigend und leicht im Oberkörper. An das Bild muss ich immer wieder denken, als Meister Chen Peishan unseren Stand und unsere Schritte überprüft. Immer wieder findet er jemanden, dem die Rundheit und damit die Stabilität im Schritt abhanden gekommen ist und korrigiert ihn. In der Taiji Form kann man leicht die korrekte Position verlieren, ohne es gleich zu merken, sagt Chen Peishan. Angewendet im Kampf mit einem realen Gegner kann das nicht passieren, weil man dann nicht lange auf zwei Beinen steht. Deswegen ist es Meister Chen Peishan so wichtig, dass wir die Anwendung in jedem Bild der Form verstehen.
Jede Bewegung in unserem Taiji hat ein klares Ziel, wie Stoßen, Schieben oder Ableiten. Damit hat auch jede Bewegung eine klare Richtung. In jeder Bewegung und jeder Position suchen wir die Rundheit für einen stabilen Stand und für genügend Freiraum. Den Freiraum brauchen wir, um die Aktionen des Gegners abzuleiten. Das üben wir in der Form einzeln und im "Tuishou", den schiebenden Händen, jeweils zu zweit. Jetzt wird schnell spürbar, dass die Fixierung im Körper genauso hinderlich ist, wie zu viel Bewegung. Und wir bekommen eine leise Ahnung, was Meister Chen Peishan mit einer natürlichen Bewegung meint.
Wie ein meisterhaftes, wunderschönes Taiji aussehen kann, führt uns Chen Peishan in seiner beeindruckenden Demonstration der Yilu vor und hinterlässt uns sprachlos. Auch wenn wenige von uns jemals dieses Niveau erreichen werden ist die Vorführung eine Inspiration für unsere weitere Praxis.
"Your movement shall be natural. Nature is beautiful. So your form will become beautiful."
Sabine Rossbach
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