Zwei Jahre

12.10.2013

Von Annemarie Leippert

Als ich vor einigen Jahren meinem Lehrer vorschlug ein 5-Tage Seminar bei uns in der Region ins Leben zu rufen, das heutige "Chen Taijiquan Xiaojia Herbstcamp" war mir nicht bewusst, welchen Einfluss dies auf das Leben eines Mannes aus Südspanien haben würde, den ich heute sehr schätze und zu meinen Freunden zähle. Und der umgekehrt mit seinen Ideen, seiner inneren Stärke, seiner Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft für mich zu einer Inspiration wurde.

In einem Gespräche lassen wir Euch ein wenig an seiner Geschichte in unserer Schule der "Pagode" teilhaben.

Zunächst einmal, stell Dich uns bitte vor und erzähl uns wie Du die Schule "Die Pagode" kennenlerntest.

Ich heiße Alberto Barroso und lebe im Süden von Spanien. Schon von je her haben mir die Kampfkünste gefallen. In meiner Jugend habe ich in der Schweiz zwanzig Jahre lang Karate praktiziert, vier davon als Lehrer (Anmerkung: Albertos Eltern emigrierten in den französischsprachigen Teil der Schweiz als er 11 wahr).

Wenn man jung ist kann man diese Disziplin besser ausüben da man mehr Energie und physische Kraft hat. Als ich nach Spanien zurückkehrte fing ich zunehmend an mein Training aus beruflichen Gründen aufzugeben. Zu dieser Zeit erzählte mir jemand vom Taijiquan, diese Person war Taijiquanlehrerin. Damals begann ich damit mich dafür zu interessieren und darüber zu recherchieren. Am Anfang dachte ich es sei wie Karate nur mit langsameren Bewegungen. Aber nach und nach erklärte man mir, dass es innere Arbeit sei, keine externe wie ich sie bisher kennengelernt hatte, und dass sich hinter den langsamen Bewegungen des Taijiquan mehr als nur ein langsamer harmonischer Bewegungsablauf versteckt.

In Spanien praktizierte ich dann drei Jahre den Yang Stil. Aber nachdem ich so eine lange Zeit Karate trainiert hatte, erschien mir der Yang Stil sehr weich. Zu dieser Zeit fand ich beim Recherchieren im Internet die Webseite der Pagode, die erfreulicherweise in Spanisch geschrieben war, und auf der ein 5-Tage-Seminar im Herbst angeboten wurde.

Sehr wenigen wagen ein Abenteuer in einem weit fortgeschrittenen Alter, Du aber hast es riskiert mit 59 Jahren in ein Land zu gehen, dass Du kaum kanntest um dich im Taijiquan auszubilden zu lassen, warum? Was bewog Dich Bequemlichkeit und Routine zu verlassen und dieses Wagnis einzugehen?

Der Chen Stil erschien mir kämpferischer als der Yang Stil. Und hinzukam, dass ich schon immer die deutsche Sprache lernen wollte, schon als ich noch in der Schweiz lebte.

Ich hatte zwei Themen die mich bewegten, die Sprache und einen kämpferischeren Taijiquan Stil. Die Sprache konnte ich schon ein bisschen.

Das Seminar im Herbst erlaubte mir den Chen Stil kennenzulernen, und zu prüfen ob es das war was ich suchte. Also meldete ich mich an, und am Tag meiner Abreise nach Deutschland verhinderte ein Fehler der Flughafenorganisation am Abflug-Gate, dass ich meine Reise antreten konnte. Nach diesem Zwischenfall wollte ich mein Vorhaben nicht abbrechen, und ich beschloss einen einfachen Hinflug ohne Rückflug zu buchen. Zwei Wochen später flog ich nach Deutschland mit dem Vorhaben ein Jahr dort zu bleiben, wenn es mir gelang eine Arbeit zu finden um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich fand sie.

In Spanien warst Du selbstständig, hier jedoch warst Du bereit jegliche Form von Arbeit zu akzeptieren. Welche Arbeiten übtest Du aus als Du in Deutschland warst?

Ja das stimmt, ich hatte einen Heilkräuterladen, aber etwas in mir wollte Aussteigen und etwas Neues erleben.

Meine erste Arbeit fand ich in einer Reinigungsfirma. Es war eine sehr anstrengende Arbeit, sowohl was die unregelmäßigen Arbeitszeiten betraf als auch den physischen Aspekt. Als ich zu den Trainingsstunden ging war ich sehr müde und oft hatte ich Gelenksschmerzen. (Anmerkung: Alberto stand nicht selten zwischen 4:00 und 5:00 Uhr morgens auf um dann in voller Schutzmontur den ganzen Tag große Produktionsmaschinen zu reinigen, oder auch mal Erde zu schaufeln. Er fehlte trotzdem so gut wie nie beim Training, welches vier Mal die Woche abends bis 22:00 Uhr oder 22:30 Uhr, und an diversen Wochenenden stattfand.)

Als ich das Jahr in der Pagode abgeschlossen hatte, stellte ich fest, dass diese Zeit nicht ausreichend war, und dass ich mindestens noch ein weiteres Jahr des Übens benötigen würde. Ich versuchte den Arbeitsplatz zu wechseln. Nachdem ich 1,5 Jahren als Reinigungskraft gearbeitet hatte, schlug man mir vor mich um einen älteren Menschen zu kümmern, was ich sehr gerne annahm da es eine Verbesserung meiner Arbeitssituation darstellte, und es mir erlaubte ausgeruhter zum Training zu erscheinen.

Waren die fehlenden Sprachkenntnisse ein Nachteil für Deine Taijiquanausbildung?

Ja, das war tatsächlich eine sehr beschwerliche Situation, ich konnte etwas Deutsch aber nicht genug. Zum Glück sprachst Du Anny perfekt Spanisch. Deine Übersetzungen von Dietmars Erklärungen halfen mir die Techniken zu verstehen. Obwohl man auch viel durch das Beobachten lernt. Außerdem halfen mir auch einige Schüler mir ihren Übersetzungen ins Französische.

Siehst Du Deine Erwartungen erfüllt? Hast Du das gefunden was Du gesucht hast?

Meine Erwartungen haben sich in hohem Maß erfüllt, aber ich bin mir auch darüber bewusst, dass zwei Jahre nicht viel sind, in anderen persönlichen Umständen wäre ich länger geblieben. Ich muss sagen, dass ich mit der Auswahl der Schule einen Treffer erzielte. Alle nahmen mich warmherzig auf, die Atmosphäre war sehr angenehm. So dass ich eine sehr gute Zeit verbrachte, in der ich mit einem selbstlosen Lehrer trainieren konnte, der sehr kompetent, und ein guter Mensch ist. Und dann war da noch das gute deutsche Bier.

Was gibt Dir das Taijiquan, was Dir das Karate nicht gibt.

Auf der einen Seite, auf emotionaler Ebene bringt es mir Frieden und Ruhe, ausgehend von einer kompletten Philosophie bezüglich des Universums in dem alles Yin und Yang in stetiger Bewegung ist. Auf der anderen Seite, physisch gesehen, fühle ich mich flexibler, und meine Gelenke haben sich bemerkenswert gebessert.

Wie gestaltete sich Dein Prozess der Integration in der Pagode?

Es fiel mir leicht mich in den Rhythmus des Trainings einzugliedern, und das Konzept des Taijiquans der Schule gefiel mir sehr gut. Die fehlende Sprachkenntnis behinderte mich jedoch bei einem schnelleren Vorankommen. Es hätte mir gefallen mich fließender mit meinen anderen Mitschülern unterhalten und Erlebnisse teilen zu können, aber ich fühlte mich ein bisschen verloren was die Beziehungen zu den anderen betraf. Nicht in ein Gespräch mit einsteigen zu können ließ mich außerhalb des sozialen Umfeldes stehen. Nur der Umstand französisch sprechen zu können half mir, mich mit einigen der Schüler unterhalten zu können, die diese Sprache beherrschten. Ich bin dankbar für Ihre große Geduld.

Was ist für Dich Taijiquan?

Gute Frage. Wie kann man Taijiquan erklären? Nun damit beginnend, dass alles Yin und Yang ist, und dass das Universum durch diese beiden Pole ausgeglichen wird, finden wir sie auch in unserem täglichen Leben wieder. Es ist das sich bewusst sein dieser beiden Polaritäten im Alltag. Es ist ein Stadium der Klarheit, eine Art das Leben zu leben.

Was sind Deine Projekte in Spanien?

Es würde mir gefallen eine Schule in meiner Stadt zu eröffnen und bei der Verbreitung des Chen Stils mitzuwirken. Ich fühle mich in der Verpflichtung all das weiterzugeben was mir Meister Dietmar beigebracht hat. Leider ist die ökonomische Situation in Spanien derzeit nicht geeignet eine Schule aufzubauen. Ich hoffe, dass sich die wirtschaftliche Situation für den einfachen Bürger bald verbessert. Bis dahin trainiere ich in einem Park, zusammen mit meiner Lebensgefährtin, die auch mit Taijiquan begonnen hat. Manchmal schließen sich uns einige unserer Freunde zum Training an. Nach und nach werden wir eine Gruppe formen, und wenn ich dann einen Trainingsraum finden sollte, werden wir schon eine gewisse Anzahl von Leuten sein.

Hast Du vor Dich weiter in Deutschland fortzubilden?

Ja natürlich, immer dann wenn es mir möglich ist, werde ich zu den Herbstcamps und in die Pagode kommen. Wenn man vorankommen möchte muss man fortfahren zu trainieren, es ist eine Voraussetzung in allen Disziplinen die man ausübt.

Gibt es in Deiner Stadt ein Interesse für das Praktizieren des Taijiquans?

Nein, überhaupt nicht! Hier in Huelva stehen die Menschen Neuem, und dem was von Außen kommt sehr verschlossen gegenüber. Das ist eine Tatsache für die asiatischen oder indischen Disziplinen wie z.B. Yoga, chinesische Medizin, Akkupunktur, Qigong oder Taijiquan. Genau so erging es vor 30 Jahren dem Judo, Karate und Aikido, Disziplinen die sich heute in der Bevölkerung etabliert haben. Ich vertraue darauf, dass ich nicht so lange warten muss...

Nun es war mir eine Freude, ich danke Dir dass Du mir die Zeit für das Gespräch gewidmet hast, und wünsche Dir viel Glück für die Zukunft.

Danke Anny, die Freude war ganz auf meiner Seite. Ich hoffe Dir bald die Nachricht schicken zu können, dass ich eine Schule eröffnet habe. Vielen Dank an alle.